Unseren persönlichen Ort entdecken
Was den meisten Lebewesen instinktmässig gegeben ist, muss der moderne Mensch oft mühsam erlernen: seinem Wesen gemäss in einer bestimmten Umgebung und unter gegebenen Bedingungen zu leben und sich zu entfalten. Dies setzt zum Einen voraus, dass man sein Wesen kennt, mit anderen Worten seine Gefühle, Gedanken und Empfindungen, seine Wünsche und Bedürfnisse, wie auch natürlich seine Abneigungen und Ängste. Zum Anderen gilt es, seine Umgebung und seine Mitmenschen, zu denen wir in einem steten und lebensnotwendigen Austausch stehen, möglichst gut zu verstehen. Ausgestattet mit dem Wissen über uns selbst und unsere Mitwelt, sind uns erst Mittel und Voraussetzungen gegeben, unseren persönlichen Ort, unsere Nische zu entdecken und optimal zu gestalten.
Gesetz des Wachstums
Schliesslich gibt es noch ein Drittes: Jedes Lebewesen untersteht dem Gesetz des Wachstums und der Veränderung. Damit kann sich das Gleichgewicht der Wechselwirkung zwischen Individuum und Welt verschieben, wodurch eine stete Anpassung an neue Verhältnisse nötig ist.
Goldene Regel
Dies alles ist jedoch nicht ohne Rücksichtnahme auf Mensch und Umwelt möglich. “Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu.” In der goldenen Regel wird eine ethische Dimension erkennbar, ohne die die Kunst des Zusammenlebens nicht gelingen kann. Sich selbst und seinen Mitmenschen in Respekt zu begegnen ist das Ziel, auf das jede Entwicklung zustreben soll.
Grenzen der Anpassung bejahen
Dabei gilt es auch Grenzen der Anpassung – für sich und die Welt – zu bejahen. Nur im Idealfall bietet eine Nische sowohl bestmöglichen Schutz und Geborgenheit wie auch optimale Bedingungen für die Entfaltung von Lebensmöglichkeiten. In Wirklichkeit wird jede Nische auch Enge und jeder Ort auch Ungeborgenheit bedeuten. Dieser Zustand erzeugt Angst. Das Wort leitet sich von lateinisch angustia (Enge) ab und bezeichnet zunächst das leibnahe Gefühl der Beklemmung und im weiteren Sinn jede Form von Beengung. Zugleich beinhaltet Angst aber auch noch den Aspekt der Verlorenheit und des Verlustes schützender Grenzen. Einengung und Entfremdung konstituieren die beiden Pole der Angst und bilden Grundgegebenheiten unseres Daseins. Nicht selten münden anhaltende Angst bzw. chronischer Stress in einen Zustand depressiver Erschöpfung bzw. Burn-out-Erkrankung bis hin zu einer manifesten Depression.
Genauso wichtig wie die Frage nach den Ursachen von Krankheiten ist indessen das Verständnis der Faktoren, die zur Erhaltung der Gesundheit beitragen. Es gilt heute als gesichert, dass eine positive Lebenseinstellung, befriedigende Beziehungen sowie das Erleben eines Sinnes im Leben sich günstig auf die Gesundheit und Lebenszufriedenheit auswirken.
Gelingt es, im stetem Prozess der Anpassung, der in der Regel nicht ohne Krisen vor sich geht, nach Einklang und Harmonie mit sich selbst und der Welt zu streben, so sind wesentliche Voraussetzungen für Lebensglück und Wohlergehen gegeben.